Er
ist 17 Jahre alt und sitzt sein halbes Leben fast täglich auf dem Fahrradsattel.
Alexander Gut erzählt hier, wie er zu Doping steht und was man tun muss,
um erfolgreich die Champs-Élysées zu erreichen. Hat man noch Zeit
für Freunde? Ist man nur Wasserträger für berühmte Fahrer?
Und was denkt man auf dem Fahrradsattel?
PALISTO : Hast Du Asthma?
Alexander Gut : Ähm - nee.
PALISTO: Ungefähr
4% der normalen Bevölkerung hat Asthma, bei Radsportlern sind mehr als
80% gemeldet. So dürfen sie leistungsverbessernde Cortikoide nehmen.
Schafft man es als Nachwuchsfahrer auch ohne Doping auf die Champs-Élysées
zu kommen?
Alexander Gut: Ich denke schon. Aber es ist ein verdammt schwerer Weg.
Bist Du ein Zuspätkommer in der Schule gewesen und musstest deswegen
das schnelle Radfahren lernen?
Na ja, früh lange schlafen ist schon schön. Aber mein Bruder ist
Schuld, der hat nämlich mit dem Rad fahren angefangen. Und ich habe dann
auch mal Lust bekommen, es auszuprobieren. Das ist jetzt mehr als acht Jahre
her.
Muss man sich als junger Fahrer besonders profillieren und für die
Großen als Wasserträger durch den Wind boxen?
Am Anfang gibt es noch keine Rangordnung. Da fährt jeder wie er Lust
hat. Es gibt einfach nur einen Start und alle fahren dann so wie sie können.
Später dann kommt aber schon das Taktieren um den Sieg. In der Bundesliga
wird schon mal gebremst, wenn einer von uns weg ist. Haben alle Mannschaften
einen Fahrer vorn und wir nicht, reihen wir uns auch vorn ein. In diesem Moment
sagt man sich dann immer, dass die anderen das für einen auch machen
würden, wenn man irgendwann selbst mal vorne ist.
Als Boris Becker in Wimbledon gewann, brach in Deutschland eine regelrechte
Tenniseuphorie aus. Ähnliches war beim Sieg von Jan Ulrich zu beobachten.
Hat sich von diesem Moment an etwas für Dich geändert?
Es war toll das er gewonnen hat, aber mehr Ehrgeiz habe ich dadurch auch nicht
bekommen. Die Begeisterung ist noch immer gleich groß.
Träumst
Du von einer vergleichbaren Karriere?
So richtig träumen? Es wäre schon toll aber warten wir lieber ab.
Noch mal Tennis: Warum kann ein Tennisspieler mehrere Turniere im Jahr
gewinnen, wo hingegen ein Radfahrer nur einen Saisonhöhepunkt hat, und
sich ausschließlich auf ein Rennen intensiv vorbereiten kann?
Ein Tennisturnier dauert einfach nicht so lange, Radrundfahrten bedeuten mehr
als drei Wochen am äußersten Limit fahren. Ohne Pause. Man kann
nicht das ganze Jahr hindurch die Höchstform halten.
Welches Rennen würdest Du gerne mal gewinnen?
Natürlich träumt jeder von den großen Rundfahrten. Es ist
aber davon mal ganz abgesehen auch immer schön, wenn man ein Heimrennen
gewinnt.
Was vermisst man am meisten, wenn man lange Zeit nicht auf dem Fahrrad
saß?
Am meisten vermisst man die ganzen Leute, die man nur beim Training trifft.
Und man hat viel zu viel Zeit. Das wird dann einfach langweilig.
Während Freunde von Dir sich treffen und auf Party gehen, trainierst
Du. Wie kannst Du damit umgehen?
Manchmal ist es schon schwer. Jetzt im Sommer freut man sich auf den Winter.
Da kann ich dann auch wieder am Wochenende weg. Aber im Moment geht das nicht.
Und das ist schon ziemlich schwer, denn alle gehen weg auf Feste und Discos.
Nächste Woche hört man dann immer, wie gut es war. Und wir waren
auf einem Radrennen.
Wie motiviert man sich dann?
Durch die Rennen. Und natürlich durch die Erfolge.
Was macht den Unterschied aus, ob man potentieller Teamleader ist oder
sein Leben lang in der Mannschaft Helfer bleibt. Kommt es nur auf die physische
Stärke an, oder ist hier die mentale Verfassung entscheidend?
Man braucht auf jeden Fall beides. Wer am Ende noch am meisten kann, führt.
Es gibt viele starke Fahrer, bei denen es aber im Kopf scheitert. Auch wenn
es mal nicht so gut läuft, kann man nicht von vornherein sagen, dass
es nicht mehr zu schaffen ist.
Was fühlt man bei einer kräfteraubenden Bergankunft?
Man denkt sich: Hoffentlich ist es bald vorbei. Und freut sich nur noch auf
das Trinken nach dem Ziel. Anders ist das schon bei Fahrten über das
flache Land - da bleibt Zeit um über alles nachzudenken. Man redet hier
auch mal mit den anderen Fahrern.
Was kostet ein Etappensieg? Braucht man Beziehungen oder kann man auch
vollkommen allein gewinnen?
Ab der Stufe der Oberliga haben es Einzelfahrer enorm schwer. Stärke
allein
nutzt hier wenig. Ein Team hat es da schon einfacher. Fährt der Einzelfahrer
weg, fahren ihm alle Teams nach. Fährt aber einer vom Team weg, bremsen
die anderen für ihn und halten so das Feld auf. Auch die finanzielle
Unterstützung ist im Team einfacher.
Du warst in Südafrika und hast dort trainiert. Wo liegt der Unterschied
zwischen Tafelberg und Kaiserstuhl, vom Fahrradsattel aus betrachtet?
Das Fahren dort ist eintönig. Nach hundert Kilometern kommt meist erst
die nächste Ortschaft, es gibt mehr als fünfzig Kilometer keine
Kurven und nur geringe Steigungen. Aber es war eine ganz spannende Erfahrung,
so lange auf gerader Strecke durchzuhalten.
Fährt man bei einem Radrennen in erster Linie gegen sich selbst, oder
gegen die anderen?
Eher gegen die anderen. Und für sich selbst.
Martin Müller

Die
Sonne brennt auf den Asphalt. Das Außenthermometer unseres Autos zeigt
32 Grad an - wohlgemerkt befindet sich der Fühler hinter der sonnengeschützten
Stoßstange. Im ersten Gang schleichen wir langsam die Serpentinen hoch.
Auf dem Parkplatz angekommen, eröffnet sich die malerische Kulisse des
Kaiserstuhls. Und wir treffen Alexander und Jeanne-Claude. Ihre Gesichter
zeigen keine Spur von Anstrengung oder Hitzeerschöpfung - vielmehr lächeln
sie uns an und warten auf unsere Fragen. Jeanne-Claude ist achtzehn und kommt
aus Südafrika. Was den Jungen vom Tafelberg mit Alexander aus dem Kaiserstuhl
verbindet: Die Begeisterung für den Radsport. Beide träumen von
einer Karriere als Profi. Und sie sind auf dem besten Weg dorthin. "Das
ist eine relativ einfache Strecke", erklärt Jeanne-Claude. Er ist
Bergspezialist und trainiert für mehrere Monate in Deutschland. Vor einigen
Wochen erst war Alexander zu einer Trainingsreise nach Südafrika geflogen.
Von diesem Austausch haben beide etwas: Die scharfen Kurven hier und die schnurrgeraden
Straßen am anderen Ende der Welt ergänzen sich als Trainingsgebiet
ideal. Bossdorf, Watterott und Emig - die Frontmänner der ARD berichten
seit Tagen live von der 88. Tour de France. Ob Radsportler die letzten Gladiatoren
des modernen Entertaiments sind, wollen wir wissen. Schließlich sitzt
ja ein Millionenpublikum mit gekühlten Getränken im Wohnzimmer und
schaut in die verzerrten Gesichter der Fahrer bei einer Bergetappe. Als Unterhalter
fühlt sich Alexander nicht. "Aber Publikum kann auch helfen, gerade
bei einer schwierigen Bergankunft." Was die beiden mal werden wollen?
Sie zucken mit den Schultern. Jetzt muss weiter trainiert werden. Und wir
haben ganz schöne Probleme, so schnell auf den Auslöser der Kamera
zu drücken. "Im
Sommer freut man
sich auf den Winter"