Die verlorene Lobby

Die letzten Tage sind gezählt. Mit dem Abitur in der Hand, verläßt man die nach dem letzten Bundespräsident benannten Kuschelecken. Und wenn man es sich recht überlegt, hat er recht. Vorbei ist die Zeit, wo man jeden kannte. Und jeder einen selbst kannte. Vorbei sind nun auch die Tage und Wochen, wo man sich einfach einiges erlauben konnte. Man hatte seinen Fanclub. Wußte, von welcher Ecke man nicht geschätzt wird. Und auch das Umfeld war kalkulierbar. Vorbei ist das Tragen von schriller Kleidung und ausgeflippten Haarschnitten. Sonst denken die anderen man ist verrückt. Die Lobby in der Kuschelecke kannte einen und wußte auch, wo man das quitschig-gelbe T-Shirt einordnen muß. Oder die roten Hosen mit den grünen Streifen. Und die ständig wechselnden Haarfarben. Schlimmer aber noch: Sie kannten die Seele, das Denken, die Sprache - was soll das werden? Sind wir nach dem Abitur ein anderer Mensch? Ja klar, "wir müssen in Kontakt bleiben", tönt es von allen Seiten. Doch müssen ist jetzt ein Fremdwort - dürfen ist nun angesagt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Viele wollen es im Moment noch nicht wahr haben. Aber: Wir brauchen nun eine neue Lobby. So ist das Leben - ständig auf der Suche nach dem eigenen Fanclub.

von Martin Müller