Der 18.- ein Meilenstein?!
"Zum Geburtstag
viel Glück!" - stolz schaut der kleine Thomas zu seinem Bruder auf. Er strahlt
über sein ganzes pausbäckiges Mondgesicht, als er ihm das Blümchen in die
Hand drückt, das ihm seine Mutter in aller Eile noch gegeben hat: "Gib die
nachher einfach deinem Bruder". Der hat nämlich heute Geburtstag. Es ist aber
nicht einfach irgendeiner, ein ganz gewöhnlicher Geburtstag, den man so einfach
zwischen Tür und Angel feiert, bei dem man vor der Schule kurz beglückwünscht
wird und nach der Schule schon wieder vergessen hat, dass heute eigentlich
kein gewöhnlicher Tag ist. Nein. Es ist vielmehr jener Geburtstag - sehnlichst
herbeigewünscht, laut und leise, hoffnungsfroh erwartet und mit dem Ende der
unverschuldeten Abhängigkeit gleichgesetzt: Richtig - ein tiefer Seufzer,
es ist der 18. Geburtstag. Jener, der die absolute Freiheit und Unabhängigkeit
verspricht. Sozusagen der Beginn einer neuen Ära.
Thomas ist nicht neidisch. Dafür ist er noch zu klein. Er versteht nur, dass
heute etwas anders ist. Irgendwie besser. Vor allem sind alle besser gelaunt.
Und auch besseren Kuchen gibt es nach dem Mittagessen. Überhaupt Kuchen. Das
ist was. Und das freut ihn. Und außerdem freut er sich, wenn sich sein Bruder
freut.
Und das tut er.
Auch ohne, dass die Schlüssel für eine schnittigen Kleinwagen mit Schiebedach
neben seinem Früstücksbrettchen liegen, fühlt er sich ein ganzes Stück größer.
Erwachsener. Selbständiger. Was so eine Zahl alles ausmacht..
Die 18. - die Glückszahl aller aus der Pubertät entwichenen Jugendlichen.
Die magische Zahl. Das Symbol für den Eintritt in ein neues Leben. Nie mehr
in Discos reinschmuggeln müssen. Und mit dem Auto einfach vorfahren. Die Symbolik
ist schon der Ziffer zu entnehmen, ein bisschen Phantasie bitte, und schon
kann man erkennen, dass die eins für die Jugend steht, für Spontanität, Weltoffenheit
und Toleranz. Und zwar deshalb, weil das diese geschätzten Züge, sozusagen
das Monopol der Jugend sind, und weil auch schon vor allen anderen Jahren
des jugendlichen Alters die 1 steht. Sehr einfach. Der wirklich wichtige Teil
jener geschätzten Zahl ist die zweite Hälfte, also die acht. Sie macht's aus.
Die acht sieht verdächtig nach Freiheit aus. Die angereiste und herzlich aufgenommene
Verwandtschaft bringt es aber auf den Punkt, was die Erziehungsberechtigten
- doch halt - die braucht man mit 18 nicht mehr, da kann man schon selbst
unterschreiben- denken, fühlen und befürchten: "Mein Gott, Junge - bist du
groß geworden, du kannst ja deinen Eltern schon auf den Kopf spucken. Das
du mal keine Rückenprobleme bekommst, wo Du doch so schnell gewachsen bist!
Sag mal, du willst jetzt aber nicht deine Eltern einfach schon verlassen.
Möchtest du etwa schon ausziehen?" Ein Lächeln auf den Lippen der Eltern-
böse Zungen mögen behaupten, es sei ein erzwungenes - lass Tante Mathilda
nur reden, was weiß die schon von unserem Sohnemann. Eben. Ausziehen. Was
für eine Schnapsidee.
Sohnemann denkt gar nicht so weit. Tante Mathildas Worte dringen nicht vor
bis in sein nun 18-jähriges Unterbewusstsein. Mit dem ist er nämlich schon
bei heute abend. Da wird der Eintritt ins Reich der Erwachsenen und in die
Selbstverantwortung gefeiert. Richtig groß, wenn schon, denn schon, 18 wird
man nur einmal. 17 eigentlich auch. Und 19 erst recht. Egal, der 18. ist nicht
die Zeit für unnötige Gedanken. Die sollte man sich als postpubertärer Heranwachsender
sowieso nicht machen. Früher war man erst mit 21 volljährig. Eigentlich Quatsch,
da hatte man schon das Abitur, und war in wohl den meisten Fällen der heimischen
Nestwärme entflohen. Auf in die große weite Welt. Und mit 21 ist man auch
nicht viel reifer.
Thomas großer Bruder bremst kurz vor der Ampel- fast hätte er die Kreuzung
bei rot überquert. Das hätte böse enden können. Und- dank Freiheit und Selbstverantwortung-
hätte er ganz alleine dafür einstehen müssen. Eigentlich komisch. Bloß, weil
er jetzt einen Tag, also 24 Stunden länger gelebt hat, soll er nun auf einmal
wissen, wie's geht. Das mit der Selbstverantwortung. Hat mir das jemand gesagt?
Doch jetzt ist wirklich nicht der Zeitpunkt für verselbständigte Gedanken
und philosophische Höhenflüge. Die Ampel springt nämlich auf grün. Klar das
der auf der rechten Spur langsamer beschleunigt, Mr. Formel 1 ist am Start,
bitte zu beachten.
Thomas auf dem Hintersitz freut sich und streckt seine kleinen dicken Arme
in die Luft. Sein großer Bruder ist gut gelaunt, sogar sehr gut. Dafür wird
es einen Grund geben. Und Thomas fragt nicht nach, leider gelingt es ihm noch
nicht, mit seinem roten Erdbeermund Worte zu formulieren. Und deshalb freut
er sich mit. Einfach so.
Meggi Jakob ist gerade 18 geworden.