Die Qual der Wahl
Warum Politiker nerven - besonders, wenn sie sich beliebt machen wollen

Endlich! Die volljährigen Jugendlichen in Baden-Württemberg fiebern dem Wochenende zu. Da dürfen sie nämlich nicht nur mehr rauchen, trinken, sich den ungekürzten Hannibal Lektor reinziehen und mit dem Auto in die Disco heizen - nein, sie können ihre Reife nun auch politisch unter Beweis stellen: Die Landtagswahl und damit ihr erster Gang zur Wahlurne steht vor der Tür.
Konkret!, denkt sich da der Durchschnitts-Achtzehnjährige, endlich kann ich denen mal meine Meinung sagen. Mit "denen" meint er die Leute, die in grauen Designeranzügen über den Fernsehbildschirm flimmern, geschwollene Reden halten und trotzdem kein Geld für den Friseur haben. Und mit "Meinung"? Welcher Partei soll er nun das heißbegehrte Kreuzchen schenken? Das weiß unser Jungwähler selbst nicht so genau, also beschließt er sich zu informieren und das erste Mal gewissenhaft vorzubereiten.
Das denken sich auch die Parteien und lassen ihre Politiker wie Pilze aus dem Boden schießen. Eben noch keine Zeit für Blödsinn, stehen die Pappkameraden jetzt lächelnd an der Autobahn, vor Mc Donald's oder grinsen einem auf dem Weg zur Schule zu. "Wähl mich!" blinkt es in allen Farben vom Straßenrand. Dabei schrecken sie auch nicht zurück vor so anstößigen Sprüchen wie "Erwin kommt", aber "Grün fickt besser". Und das alles mit Messias-Lächeln vor Schäfchenwolken und einem Himmelblau, das förmlich nach Graffiti schreit. Ganz zu schweigen von der blondblauäugigen Fake-Familie, die sich nach sicherer Heimat, sicherer Arbeit und sicherer Gehirnwäsche sehnt.
Als sei das nicht genug, reißen sich nun auch noch die Medien um den armen Jungwähler. Radio, Zeitschrift, Fernsehen - alle wollen die Landtagswahl diesmal ganz peppig rüberbringen und stellen trendy Fragen wie "Hättest du lieber mehr Show gehabt bei dieser CDU-Veranstaltung?" Oder sie lassen zur Dekoration ein paar Oberstufenschüler im Studio rumstehen, während sich Maurer und Oettinger fetzen und eine Einmischung geschweige denn Fragen zu ihrer Bildungspolitik gar nicht dulden. Dafür quetscht einem Frau Schavan dynamisch die Hand, wenn man nicht rechtzeitig in Deckung geht, und ihr "Team" überhäuft einen mit CDU-Kulis, CDU-Gummibärchen, CDU-Kressesamen, CDU-Französisch, -Italienisch, -Griechisch-Wörterbüchern (falls man die Flucht ins Ausland ergreift) und Riesenaufklebern mit der Aufschrift "Erwin".
Die noch dynamischere Ute Vogt ist inzwischen in dynamischen Riesenschritten und mit wehendem Haar an uns vorbeigerauscht.
Alle Parteien sind optimistisch und überzeugt, dass sie das Rennen machen werden. Das wollen wir mal sehen, denkt sich unser frustrierter und gestreßter Jungwähler, nachdem er sich endlich aus dem Tumult der wohlwollenden Händeschüttler befreit hat. Vielleicht wähle ich ja doch lieber APD, KGB oder die Fanta Vier? Was bleibt schon übrig von all den Reden und Versprechungen: Ein paar neue Kugelschreiber und die Hoffnung, dass all die nervigen Wahlplakate bald verschwinden. Spätestens, wenn wir auch die letzten Damen und Herren Landtagsabgeordnete mit Zahnlücken und Hasenohren versehen haben. Dann ist erst einmal Ruhe. Bis zum nächsten Wahlkrampf lassen die sich hier bestimmt nicht mehr blicken.

von Jungwählerin Sibylle Schmidt