Telefonmanie

Und da ist sie wieder, die prickelnde Vorfreude, sobald ich meine Wohnung betrete. Noch bevor die Jacke ausgezogen und unachtsam über einen Stuhl geworfen wird, damit meine Mutter später wenigstens einen Kommentar über die Unordentlichkeit ihrer Tochter fallen lassen kann, fällt der Blick auf das rote Knöpfchen des Anrufbeantworters. Der Anrufbeantworter, der mit den fröhlichen Worten : "Das Leben ist einfach zu kurz für schlechte Nachrichten" beginnt und mit einem motivierten: "Also, bis bald" den Anrufer vertröstet.
Und genau dieses rote Knöpfchen muss einfach blinken. Es muss blinken, um mir zu zeigen, dass ich nicht alleine bin mit diesem Problem. Dem Problem der seit zwei Jahren chronisch anhaltenden, durch keine Medizin der Welt heilbaren Telefonsucht und es muss blinken, um die prickelnde Vorfreude in eine schier unermessliche Spannung zu steigern. Eine Spannung, die sich im ganzen Körper ausbreitet und nur dadurch gemildert werden kann, in dem man wie paralysiert auf das Telefon zuläuft, auf das kleine Symbol der Wiedergabetaste drückt und lauscht.
Ertönt dann der herrliche Klang der Stimme eines liebenswerten Menschen, so findet die Spannung Ausdruck in emotionalen Ausbrüchen. Da wird gelacht, wenn die Freundin vom gestrigen Date erzählt, geweint, wenn sie verletzt wurde und gesungen, wenn sie den schönen Einfall hatte, den AB mit dem aktuellen Lieblingslied "The Weatherman" zu bespielen. Ihr könnt mir glauben, meine Eltern haben alles versucht:
Taschengeldkürzungen, Aufbrummen unliebsamer Arbeiten à là Fensterputzen oder Staub-auch-noch-in-der hintersten-Ecke-wischen oder das Verbot abends nicht weggehen zu dürfen. Es hat alles nichts genutzt. Natürlich hatte ich neulich, als ich gerade gemütlich zusammengekauert auf meinem Sofa lag, ein schlechtes Gewissen, als mich meine Mutter vom Lichtschein geweckt via Haustelefon zu erreichen versuchte, um mich zum baldigen Auflegen zu bewegen. Aber es ist so unglaublich schwer kurz zu telefonieren...
Natürlich gibt es auch sie: Die Pflichttelefonate. Sie belaufen sich auf ein bis zwei Minuten und dienen dazu, die Hausaufgaben durchzugeben oder einen neuen Zahnarzttermin zu vereinbaren. Aber von diesen Telefonaten soll an dieser Stelle nicht die Rede sein. Nein, es handelt sich um diese besonderen Telefonate mit wichtigen Menschen, mit denen Probleme wie: "Du findest doch auch, dass er zuerst anrufen sollte, oder ?" erörtert, die größten Geheimnisse à là "Hab´ ich Dir eigentlich schon erzählt, dass ..." ausgetauscht oder einfach nur die neusten News besprochen werden. Genau diese Telefonate sind es, die so unglaublich herrlich sind. Herrlich deshalb, weil man zugegebenermaßen auch mal in der unmöglichsten Hose und im größten Luschback-Schlabberpulli rumsitzen kann, ohne ein schlechtes Gewissen bekommen zu müssen, weil man ja eh nicht gesehen wird (nie werde ich mir ein Bildtelefon anschaffen), aber trotzdem auf die vertraute und angenehme Stimme der besten Freundin oder des Freundes nicht verzichten muss.

von Annerose Vetter