"Unglaubliche Gäste bei Andreas..."

Offen und ehrlich gesagt würde man ja schon gerne wissen, welcher Zeitgenosse hier eingeladen hat und solches von seinen Gästen behaupten kann. Es scheint, als sei der Gastgeber nicht gerade zurückhaltend oder gar öffenlichkeitsscheu, wenn es darum geht Aussagen zu treffen. Ganz im Gegenteil - zu verbergen hat dieser Mensch offenbar nichts und niemanden. Da fragt man sich schon, ob nicht vielleicht wenigstens die persönliche Neugier in irgendeiner Form gestillt werden kann. Hier geht es ja schließlich um Sensationen. Doch zur allgemeinen Beruhigung sei gesagt, daß das interessierte Publikum nicht etwa ausgesperrt werden soll, sondern jeder herzlich willkommen ist, um einen Blick auf jene Menschen zu werfen, die uns durch ihre Unglaublichkeit anscheinend etwas zu vermitteln haben. Ein anderer Grund für ein Anpreisen durch das Attribut "unglaublich" ist nämlich kaum denkbar. Doch es bleiben noch Fragen offen. Wer ist dieser Andreas überhaupt und wo findet die ganze Veranstaltung statt? Um auf diese doch unbedingt notwendigen Antworten zu stoßen, genügt ein Blick in die Fernsehzeitung und schon wird man fündig. Der Mann, der hier für seine Gäste wirbt heißt scheinbar Türck mit Nachnamen und das ganze spielt sich auf einem großen deuschen Privatsender ab und flimmert unter dem Etikett "Talk" über die Mattscheibe direkt in unser Wohnzimmer. Und wir sind alle eingeladen, um die Gäste zu bestaunen. Das Angebot an Themen ist unbegrenzt, denn nicht nur das uns Andreas mit seinen Enthüllungen beglückt, auch seine Kollegen auf vielen anderen Sendern kämpfen um unsere Gunst und Aufmerksamkeit. Irgendwie fühlt man sich ja geehrt bei soviel Auswahl, die exklusiv für den jeweiligen Geschmack zugeschnitten wird. Auch die Tageszeit spielt keine Rolle, denn uns bleibt es zwischen Frühstück und Abendessen freigestellt, welches Angebot wir wahrnehmen und an wessen Schicksal wir uns ergötzen. Wie schon gesagt, die Vielfalt an Diskussionsstoff ist gegeben und wir können uns aussuchen, ob wir lieber eine Auseinandersetzung unter dem Titel "Mein Kind wurde ermordet" verfolgen wollen oder ob wir lieber beim Thema "Betrüg' mich! Aber verlaß mich nicht!" dabei sein möchten. Aber bitte hautnah. Nachdem wir uns entschieden haben, kann es endlich losgehen. Zunächst einmal die lässige Begrüßung durch den Gastgeber, dann ein Kameraschwenk ins Publikum, das hellauf begeistert ist und durch anhaltenden Beifall sein Gefallen bekundet. Inzwischen sind wir so weit, daß alle Verständnisprobleme zum Thema durch den Moderator geklärt sind und der erste Gast begrüßt werden kann. Durch seine kernige These gleich beim Eintreten in den Saal ist allen Beteiligten klar, daß es hier kein Zuckerschlecken geben wird, sondern es allem Anschein nach auf eine Konfrontation hinausläuft. Schon die ersten Worte zeigen, daß sich per Du über alles und jenes viel einfacher reden läßt und diese vertrauliche Atmosphäre löst schnell etwaige Hemmungen und entlockt dem Gast wichtige Informationen. Voller Empörung beklagt sich dieser über die Tatsache, daß seine Freundin ihn angeblich mit einem anderen betrügt, wobei es sich bei dieser Person wiederum um den Kumpel eines Bekannten handelt, denn dieser vor mehreren Jahren auf Mallorca kennengelernt hat. Alles klar? Um diese doch vertrakte Situation zu lösen bringt der Moderator Licht ins Dunkel und zur großen Überraschung aller wird dann der vermeintliche Kontrahent hereingebeten um die Sache endlich mal auszudiskutieren. Jegliche Intimspäre wird aufgehoben und das Livepublikum kann in allen Details nun erkennen, um welche menschlichen Tragödien es sich hier handelt. Nicht fehlen dürfen natürlich auch die Stellungnahmen und sogenannten Meinungen aus dem Studio und auch hier wird kein Blatt vor den Mund genommen, sondern es fliegen die Fetzen, denn schließlich muß auch dem Zuschauer zuhause um jeden Preis etwas geboten werden - sei es auch an der Gürtellinie oder weit darunter. Ob es bei dieser Auseinandersetzung auch zu Beleidigungen kommt ist weniger relevant, sondern macht die ganze Schau nur noch reizvoller. Wie schön es doch ist sich an anderer Leute Unglück zu ergötzen und bei Lästereien hinter dem Rücken mit eingeweiht zu sein. Würden sich diese Szenen nicht ständig im deutschen Fernsehen abspielen, könnte man glatt sagen, daß man so etwas nicht jeden Tag geboten bekommt.

Aber inzwischen sind sich viele Programme nicht mehr zu schade dafür, weite Teile ihrer Hauptsendezeit für diese Art des Fernsehens zu opfern und dabei Dinge zu behandeln, die jegliche Tabus und Normen brechen. Vielmehr wird das Abnormale zur Normalität stilisiert und es besteht keine Hemmschwelle mehr ein Thema wie "Ich bin eine Sexbombe" in der Öffentlichkeit zu besprechen. In dieser Hinsicht entsprechen die Sender nur den Ansprüchen eines Publikums, daß sich diesem schamlosen Voyeurismus völlig hingibt. Sie sind also gewissermaßen Spiegel einer Gesellschaft, die zu Teilen an derartigem Niveau überaus großen Gefallen findet. Davon zeugt das gute Dutzend an Talkshows, die sich die ganze Woche über ein heißes Rennen um die besten Quoten liefern. Bei diesen Sendungen kommt es zum größten Teil nicht mehr auf Inhalte und sachlichen Streit an, sondern im Vordergrund steht das Sensationelle, Verbotene oder Schockende, so daß hier der Zuschauer durch Themen vor den Bildschirm gelockt wird, die ihn selber vielleicht nicht unmittelbar betreffen, aber durchaus interessieren können. Indem man sich genüßlich in den Sessel lehnt, mitfiebert und mitgafft, kann man eine Auseinandersetzung verfolgen ohne selber aktiv werden zu müssen und vor anderen eine Position zu beziehen. Auch das Fazit einer jeden Show wird dem Zuschauer nahegelgt, denn das Publikum im Studio weiß sehr schnell, wer der Buhmann ist und bekundet dieses auch lautstark und eindeutig. Ganz nebenbei kommt man auch noch in den Genuß einer Exklusivität, die oft das Prädikat dieser Talkshows ausmacht. Schon ist es dunkel. Noch vor Beckmann schlafe ich ein; nicht wie sonst so häufig montags: währenddessen.