Von Deutschen Riesen und Roten Neuseeländern

Du hast schon immer davon geträumt, am Wochenende, sowohl morgens, mittags als auch abends volkstümliche Musikfeste, Kaninchenzuchtschauen, Mini-Tennis-Turniere, Senioren- Kaffeetrinken und ähnlich interessante Veranstaltungen zu besuchen? Du hast sogar noch mehr Lust, dabei Leute zu fotografieren, sie zu interviewen und hinterher Artikel darüber zu Papier zu bringen oder, besser gesagt, in den Computer zu tippen? Wenn dein Verlangen nach derartigen Tätigkeiten wirklich schier unerträglich ist, bist du bestens geeignet, als freie Mitarbeiterin/ freier Mitarbeiter bei einer Lokalzeitung dein Schreiberglück zu versuchen. Zugegeben, dieser (Neben)Job ist unter Schülern eher weniger verbreitet. Dies könnte vielleicht daran liegen, dass eine Stadt meist nur wenige Lokalzeitungen, die für eine Beschäftigung in Frage kämen, zu bieten hat, es sei denn Großstädte wie Berlin, Hamburg, Frankfurt und München sind dein Zuhause. Die Stellenangebote sind also zum einen sehr begrenzt. Tankstellen, Restaurants, Supermärkte und vor allem kleine Kinder, die dringend einen verantwortungsvollen Aufpasser benötigen, kann man hingegen zahlreicher finden. Die Zahlen auf deinem Konto befänden sich - mit einer solchen Tätigkeit betraut - auch um einiges wahrscheinlicher im schwarzen Bereich, ein freier Mitarbeiter sieht dagegen doch leider des öfteren einmal rot, wenn er nicht wie unsereins noch mit aus der elterlichen Tasche lebt wird. "Über Geld spricht man nicht, Geld hat man", heißt es doch so schön. Die freie Mitarbeiterschaft ist somit keine ideale Möglichkeit, viel Kohle zu scheffeln. Es mag vorkommen, dass einer Veranstaltung, deren Besuch viel Zeit gekostet hat, in der Zeitung schlussendlich leider nur wenige Zeilen eingeräumt werden. Ein Hauch der Realität, der einem da um die verwöhnte Nase weht. Was spricht nun aber wirklich außer Bekanntschaften mit älteren Herrschaften sowie kuscheligen Langohren, Michael und Marianne-Imitatoren und kleinformatigen Rosenkriegverehrern dafür, bei einer Zeitung einzusteigen? Nun, die Arbeit dort ist ein gutes Training für die Nerven, fordert und fördert außerdem die Improvisationsfähigkeit. Jedem kann es wohl einmal passieren, dass sich während eines Interviews plötzlich sämtliche Schreibutensilien kollektiv gegen dich verschwören und ihren Geist aufgeben. Noch unangenehmer ist es allerdings, im Verlauf einer Veranstaltung plötzlich bemerken zu müssen, dass sich die Kamerabatterien oder auch der Blitz einen schönen Tag zum Sterben ausgesucht haben - nämlich gerade heute... Und noch ein weiteres "Horrorszenario" der Sammlung von Geschichten entnommen, die das Leben eines Zeitungsmitarbeiters schreibt: Nachdem man nach dem Besuch eines Termins in die Redaktion zurückkehrt, scheinen die Unterlagen des schon sehnsüchtig erwarteten Artikel entweder in die ewigen Jagdgründe eingegangen oder auf andere Art und Weise vom Erdboden verschluckt worden zu sein - zu einem unbekannten Zeitpunkt an einem noch unbekannteren Ort, vielleicht erfreuen sich ja schon die Kängurus in Australien daran . Die ersten Male sorgen derartige Erfahrungen noch für Aufregung, doch man gewöhnt sich schließlich an alles, so dass sich mit der Zeit eine gelassenere Reaktion einstellt und man selbst durch einen angesäuerten bis tobenden Chef nicht mehr aus der Ruhe zu bringen ist. In den meisten Fällen ist es auch möglich, eine vermeintlich verpatzte Angelegenheit mit ein bißchen Kreativität doch noch zum Guten zu wenden. Und außerdem spiegeln viele, wenn nicht sogar alle Veranstaltungen Eigenheiten des heimatlichen Lebens wider und sind allein deshalb interessant. Und last but not least kann die Arbeit manchmal einfach wirklich Spaß machen! So erzählen, um ein Beispiel zu geben, alte Menschen, die ihren 90. Geburtstag oder goldene Hochzeit feiern, oft die hinreißendsten Anekdoten aus ihrem langen Leben. Faszinierende Eindrücke können auch argentinische Gottesdienste, Tangoabende oder Matineen vermitteln. Und selbst wenn es auch nicht zur Allgemeinbildung gehört, so schadet es sicher niemanden, zu erfahren, dass es Kaninchenrassen mit so klangvollen Namen wie Farbenzwerg, Deutscher Riese, Alaska oder Roter Neuseeländer gibt. Oder hast du das etwa gewusst...?

von Gesche Hübner